Die Vergangenheit ist eine Maschine mit scharfen Zähnen

5. Februar 2012

Jake Epping staunt nicht schlecht, als ihm der alte Al offenbart, dass es in seiner Burgerbude einen Zeittunnel gibt. Steigt man die unsichtbaren Stufen im Lagerraum hinab, landet man direkt im Jahr 1958 … und zwar immer wieder. Der Vorteil: während man dort Jahre verbringen kann, vergehen in der realen Welt gerade mal zwei Minuten, sofern man nicht gewaltsam versucht, die Vergangenheit zu ändern. Ein bisschen shoppen im den späten 50er/frühren 60ern, ein paar Sportwetten, von denen man ja weiß, wer als Sieger hervorgeht – all das ist noch harmlos. Doch wehe man versucht einem Mädchen, das bei einem Jagdunfall sterben wird, das Leben zu retten – oder schlimmer noch: man versucht zu verhindern, dass ein Vater seine ganze Familie ausrottet. Dann zeigt die Vergangenheit mit aller Brutalität, dass sie Zähne hat und zubeißt. Was also passiert, wenn man so etwas Einschneidendes, wie den Mord an einem amerikanischen Präsidenten verhindern will?
Jake übernimmt den tollkühnen Auftrag von Al, sich an die Fersen von Lee Harvey Oswald zu heften und beginnt ein Parallelleben zu führen. Dabei überrascht es nicht, dass er eine nette Frau kennenlernt und sich in das beschauliche Leben der 60er zu verlieben beginnt. Und es ist nur allzu logisch, dass genau an diesem Punkt, das Leben einmal mehr Kapriolen schlägt, um wieder in ein harmonisches Gefüge zurückzukehren…

Stephen King Roman ist vieles: eine Zeitreise, ein durchwegs spannender Einblick in ein Jahrzehnt und die damaligen bescheidenen Möglichkeiten, eine Liebesgeschichte, ein bisschen Gruselroman und Geschichtsunterricht. Es ist faszinierend zu lesen: Kein Internet, sondern eine Bilbliothek gibt Auskunft, wenn man etwas sucht. Kein Handy sondern ein Telefon mit Wählscheibe stellt Verbindungen her. Aber auch die unschönen Seiten werden anschaulich beschrieben: ein jeder raucht, Umweltgedanken sind den Menschen fremd, dafür ist der Rassenhass allgegenwärtig.
Der Anschlag auf Kennedy ist der rote Faden durch das Buch, aber nicht immer im Vordergrund. Es sind viele Parallelgeschichten, die sich auftun, um sich letztendlich wieder in irgendeiner Form zu verknüpfen.

Das Buch hat über 1.000 Seiten und ist an manchen Stellen – zumindest für uns Europäer – vielleicht ein bisschen langatmig. Zu viele kleine Details überlagern die Handlung und hätte der Autor vielleicht ein paar Seiten eingespart, wäre das Buch wohl an Spannung nicht zu überbieten.

Ich habe noch nie einen Stephen King Roman gelesen, muss aber sagen, dass mir dieser hier ausgesprochen gut gefallen hat. Es scheint jedoch (wenn man die anderen Rezensionen liest), dass dies eben ein sehr untypischer King ist. Mir soll es recht sein. Das Buch wird jenen gefallen, die die Vorstellung von Zeitreisen und Parallelwelten faszinierend finden, es wird natürlich all jenen gefallen, die wissen wollen, was nun an den Verschwörungstheorien rund um den Mord von Kennedy dran ist und eingefleischte King-Leser finden Querverbindungen (Der Ort Derry aus dem Buch „Es“ macht seinem Ruf wieder mal alle Ehre).

Der Anschlag
von Stephen King, ISBN: 978-3-45326754-1

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