Je weniger wir Herr der Dinge sind, desto mehr haben wir gelernt, den Anschein zu erwecken.

1. März 2012

„Der größte Vorzug schöner Geschichten, nämlich vergangen zu sein, ist der Geschichte des Dilettantismus noch nicht zugewachsen“ – So steht es bereits ziemlich am Anfang des Buches geschrieben. Es ist dies der Auftakt einer Rede, wenn man so will, bei der das Auditorium immer geknickter in den Reihen sitzen wird, weil es erkennt, wie sehr es bereits vom Dilettantismus eingenommen sind – auch im eigenen Tun! Der in seinen Formulierungen äußert talentierte Autor spannt einen Bogen von den ersten Dilettanten über die Ausbreitung, die Machtentfaltung, den Schulen bis hin zu den Medien. Und er nimmt sich bei Gott kein Blatt vor den Mund! Einiges, was da zu lesen steht, birgt Sprengstoff in sich, nicht, weil es eine polemische Behauptung ist, sondern weil einen die Erkenntnis der Richtigkeit wie ein Keulenschlag trifft. Und anders als bei Sarazins „Deutschland schafft sich ab“ werden hier keine ethnischen Minderheiten als Sündeböcke herangezogen,nein, wir selbst sind es, die zulassen, dass die Mittelmäßigkeit zum erstrebenswerten Ziel ernannt wird.

„Der Dilettant reduziert alles, womit er sich befasst, auf das Maß seiner eigenen Vorstellungskraft“, steht geschrieben. Damit kritisiert Thomas Rietzschel jenen Umstand, dass wir unsere alte Kultur (von der Sprache angefangen) einfach ignorieren, nicht mehr bereit sind darüber zu lesen oder nachzudenken oder gar zu lernen, mit dem Ergebnis, dass als Ideenpool nur noch die eigenen untrainierten Synapsen bleiben. Und so fragt der Autor weiter: „Mit welcher Geniedichte dürfen wir gegenwärtig überhaupt noch rechnen?“ um weiters resigniert festzustellen: „Wir verlieren die Fähigkeit eine Entwicklung überhaupt noch als solche wahrzunehmen. Um nicht den Anschluss zu verlieren, bleibt keine Zeit sich Gedanken über das Geworden-sein zu machen.“

Dieses Buch ist ein Weckruf an den Intellekt des Menschen. Es ist aber auch ein Schuss vor den Bug, der aufzeigt, wo wir landen werden, wenn weiterhin nur eines gilt: „Wir feiern, was wir zu feiern haben, am liebsten uns selbst.“

Einige Zitate aus dem Buch werden veranschaulichen, welches Potenzial zwischen den Blättern steckt:
„Am wechselnden Zeitgeist kann sich keine Gesellschaft dauerhaft orientieren – weder ästhetisch noch ethisch.“
„Die entscheidende Frage ist, ob überhaupt noch die gemeinschaftliche Vorstellung existiert, dass es etwas geben könnte, bei dem as auf mehr als den eigenen Vorteil ankommt, das es um seiner selbst Willen zu bewahren gilt.“
„Der anmaßende Dilettant ist jener, der mit einer Inbrunst davon überzeugt ist, dass „ER“ zu sein völlig genügt, um emporgehoben und bewundert zu werden.“
„Als Dilettant bewahrt einen das Unwissen vor der Furcht des Versagens. Wer die Schwierigkeiten seines Vorhabens nicht abschätzen kann, handelt oftmals beherzter.“

Die Stunde der Dilettanten
von Thomas Rietzschel, ISBN: 978-3-552-05554-4

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