Der Mensch im Zeitalter der Überforderung taumelt von einem Kontrollverlust zum nächsten

5. Februar 2017

Bildschirmfoto 2017-02-05 um 20.09.04Wir spüren es alle – die Welt gerät mehr und mehr aus den Fugen. Da wird ein gefährlicher Narzisst plötzlich zum Präsidenten der Vereinigten Staaten angelobt. Da beschließt ein ganzes Land in Europa aus dem größten Friedensprojekt der Nachkriegsgeschichte – der EU – auszusteigen. Da stehen von heute auf morgen Zigtausende Menschen vor der Grenze und verunsichern mit ihrer Massenankunft die Bürger. Mit einem Wort: Wir sind überfordert.

Und da kommt Gabor Steingart ins Spiel, der zunächst einmal sagt: Nur wer die Überforderung versteht, kann ihr begegnen. Kein Schönreden, kein Augen zu und durch, sondern ein aufmerksamen Hinschauen auf die Gegebenheiten ist gefragt. Und gleichzeitig erinnert er uns daran, sich die „Sensibilität des historischen Hinhörens“ zu erhalten, sprich: sich zu erinnern, was in der Geschichte bereits passiert ist, was funktioniert hat oder eben nicht. Er macht keinen Hehl daraus, dass wir auf dem besten Weg sind, eine Menge zu verlieren. Die Schuldfrage ist ebenso vielschichtig, wie die Frage, warum der Politik zu den aktuellen Themen so wenig einfällt.

Und weil es so kompliziert geworden ist, arbeitet der Autor die Probleme nach Kapiteln ab:
Amerika (und sein historisches Verschulden am Chaos im Nahen Osten, der uns heute die Terroristen ins Land bringt),
Europa (und seine Unfähigkeit an einem Strang zu ziehen),
Terrorismus (der nicht mehr im Kampfanzug sondern in Jeans und Turnschuhen praktiziert wird),
Kapitalismus (der jegliches Maß verloren hat),
Finanzmarkt (der immer noch Geld bekommt, um den nächsten Supergau möglich zu machen),
Digitalisierung (die uns nur allzu deutlich aufzeigt, dass wir weniger gebraucht werden),
Populismus (die Geschichtenerzähler haben die Macht übernommen),
Demokratie (die immer schon vom Volk ausging, erfindet sich in den unteren Etagen neu)

Wer das Buch zu Ende liest, kann vermutlich nicht mehr so gut schlafen. Aber man darf sich solchen Tatsachenberichten auch nicht verweigern, schließlich kann man dem Feind besser begegnen, wenn man ihn kennt.
Ist es tröstlich, wenn der Autor schreibt? „Zwischen dem Ende einer alten und dem Beginn einer neuen Zeit wohnt das Chaos.“ ? Leider nein. Dennoch sollte man das Buch unbedingt gelesen haben!

Ein paar bemerkenswerte Zitate aus dem Buch:

„An das Gute im Menschen zu glauben, ist eine Tugend.
An das Gute im Bösen zu glauben, ist eine Torheit.“

„Nicht nur Sprengkraft, auch Naivität kann tödlich sein.“

„Die Weltgeschichte kennt keine unverzichtbaren Mächte.“

„Um den Status Quo zu verändern, muss man ihn zunächst anerkennen.“

„Jeder ist der Empiriker seines Lebens.“

„Emotionalität ist die neue Rationalität.“
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Weltbeben
von Gabor Steingart, ISBN: 978-3-8135-0519-1

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