Hello Mr. President – goodbye Mr. President
Zum Nägel kauen / 4. April 2021

Douglas Turner war Präsident der Vereinigten Staaten und verdient nun sein Geld mit Vorträgen, die ihn um die Welt führen. Bei einer Station in Athen passiert das Undenkbare: Er wird im Auftrag des ICC verhaftet und soll in Den Haag vors Kriegsgericht gestellt werden. Der amtierende Präsident rotiert am Stand, zum einen, weil die USA die Rechtssprechung von Den Haag nicht anerkennen, zum anderen, weil es jemand wagt, einen ehemaligen Präsidenten für seine Taten während der Amtszeit verantwortlich zu machen. Rasch wird ein Verhandlungsteam nach Athen geschickt, doch im Hintergrund wird bereits an einer Befreiungsaktion gearbeitet. Dana Martin, die Anklägerin des ICC vor Ort in Athen, sieht sich plötzlich einer Übermacht gegenüber, nicht nur auf der Anklagebank, sondern auch im Netz, wo sich die Fake-News die Türklinke in die Hand geben. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Whistleblower – jene Person, wegen der diese Anklage überhaupt zustande kam … Marc Elsberg ist einmal mehr ein Pageturner gelungen und diesmal beweist er sein Können auf der politischen Tribüne. An dem Buch ist nichts auszusetzen, es liest sich gut, man bleibt an den Seiten kleben, das Thema ist brisant und die Ähnlichkeiten mit aktuellen Akteuren (Douglas Turner/Donald Trump) ist natürlich rein…

Familien- und Freundespalter Fake-News
Zum Nachdenken / 2. März 2021

Schon mit Beginn der Klimakrise offenbarte sich die Zwiegespaltenheit – mitunter sogar im einen Familienkonglomerat – zwischen jenen, die das Problem als echt anerkannten und jenen, die sich von pseudowissenschaftlichen Behauptungen fangen ließen und an eine große Verschwörung glaubten. Die Corona-Krise macht diesen tiefen Spalt um ein Vielfaches deutlicher sichtbar. Manche flüchtige Bekanntschaft wurde auf diese Weise schon beendet, manche Freundschaft steht gerade auf dem Prüfstand. Wenn die Meinungen aber auch im eigenen Familienkreis so weit auseinanderdriften, stellt man sich unweigerlich die Frage: wie können wir wieder zusammenkommen? Ingrid Brodnig ist Autorin und Kolumnistin und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der zunehmend komplexen Kommunikation im Internet. Lügengeschichten, Mobbing und Hass und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Zerwürfnisse, das sind ihre Themen. In dem vorliegenden Buch legt sie ein Portfolio an Möglichkeiten vor, wie man Menschen dort abholen kann, wo sie stehen: festgefahren in einer Lügen- oder Verharmlosungsgeschichte. Sie schlägt vor: sich selbst mit einem Thema sehr genau auseinanderzusetzen, die Fake-News über Faktencheck-Websites zu prüfen (die gibt es auch in Deutsch), sich überlegen, in welchen „Frames“ die Personen drin hängen, niemals nur eine Fake verneinend korrigieren, nicht polemisieren oder spotten (Covidioten), immer die Quellen der vermeintlichen Wahrheit…

Die gut funktioniert das Konzept der 12 Geschworenen?
Zum Nägel kauen / 7. Februar 2021

Maya Seale ist eine der 12 Geschworenen, die über einen Mordfall zu entscheiden haben. Auf der Anklagebank sitzt Bobby Nock, ein schwarzer Lehrer, der angeblich eine Liason mit einer weißen Schülerin gehabt haben soll. Die Beweismittel sind erdrückend – DNA, Blutspuren, eindeutige SMS, doch als sich die 12 Geschworenen zurückziehen, gibt es eine, die für nicht schuldig plädiert – Maya. Nach wochenlangen harten Diskussionen schafft sie es, ihre Kollegen zu überzeugen, das Urteil „nicht schuldig“ sorgt für dementsprechenden Aufruhr. Zehn Jahre später treffen sich die Geschworenen erneut und diesmal geschieht ein Mord in den eigenen Reihen – Maya wird zur Hauptverdächtigen … Graham Moore ist ein überaus talentierter Schreiber, der es von der ersten Seite an schafft, Spannung aufzubauen. In seinem vorliegenden Kriminalfall werden zwei Mordfälle gleichzeitig beleuchtet – der eine, der vor zehn Jahren geschah und der aktuelle. Die Rückblende offenbart von jedem einzelnen Geschworenen das eine oder andere Geheimnis, und nach und nach wird klar, dass die beiden Morde miteinander zusammenhängen. Wer gut konstruierte Kriminalfälle mit einer gehörigen Portion Gerichtsverhandlung mag, ist mit diesem Buch gut beraten. Verweigerung von Graham Moore, 978-3-8479-0053-5

Eine Klima-Allianz als Rettung für die Menschheit?
Zum Nägel kauen / 1. Februar 2021

Wir befinden uns im Jahr 2100, wo eine Gruppe Gelehrter sich zu einem gemeinsamen Meeting trifft. Das Thema: eine Retrospektive über die Geschehnisse, die im Jahr 2025 zu einer Klimaallianz und letztlich zur Rettung des Planeten führte. Blick zurück in die Anfänge des 21. Jahrhunderts, also in die Jetztzeit: Die ersten Klimauswüchse machen sich bemerkbar. Der Permafrost in Sibirien schmilzt dahin, ein Hurrikan verwüstet New Orleans, Waldbrände dominieren die Schlagzeilen. In dieser Zeit beschließen China, Russland und die USA fortan als eine Klima-Allianz aufzutreten, die von nicht wenigen als Klima-Dikatur verstanden wird. Das Ziel: der sofortige Stopp der Regenwaldrodungen, das massive Reduzieren von Fleischverzehr, das Forcieren von grüner Energie. Die Unruhen sind vorprogrammiert und natürlich sehen viele Industrien im wahrsten Sinne ihre Felle davonschwimmen. Da ist es nur naheliegend, dass ein elitärer Kreis versucht, dieser neuen grünen Diktatur einen Riegel vorzuschieben. Dirk Rossmann, der Autor, ist Unternehmer und führt in Deutschland, Tschechien und Ungarn eine Drogeriemarktkette. Im Epilog beschreibt er eine Szene, die real sein dürfte: eine Kartenrunde,  bei der auch Gerhard Schröder, damals noch Kanzler Deutschlands dabei war. Und er skizziert vage seine Idee von einem radikalen Umbruch, der ihm damals gekommen ist. Diese Idee hat er im vorliegenden…

Wie kann eine KI sich ihrer selbst bewusst werden?
Entbehrlich / 30. Januar 2021

Syz ist ein Coder und sitzt mit seinen Freunden stundenlang vor den Rechnern im „Tunnel“. Er arbeitet und lebt in einer Einrichtung, die es sich zum Ziel gemacht hat, künstliche Intelligenz zum Leben zu erwecken – sie also natürlich zu machen. Die kann nur gelingen, wenn eine KI Bewusstsein erlangt – das Bewusstsein ihrer eigenen Existenz. Und dies kann wiederum nur gelingen, indem die KI so etwas wie Erinnerung entwickelt, denn unser Dasein, unser Bewusstsein formt sich aus der Erinnerung. Eines Tages wird Syz dazu eingeladen in einem Labor mitzuarbeiten, in dem es darum geht, SEINE Erinnerung zu jener der KI zu machen, um ihr auf diese Weise die Initialzündung für ein eigenes Bewusstsein zu geben. Bis hierher ist der Rahmen der Geschichte durchaus spannend. Die Umsetzung des Romans jedoch verliert sich im Schreibstil, der geprägt ist von so vielen Fremdwörtern, dass ich bei 50 aufgehört habe zu zählen. Dieser zwanghafte Versuch der – ich nenne es mal – Fremdwörterei ist irritierend und bremst den Lesefluss. Auch die apokalyptischen, dystopischen Beschreibung einer Außenwelt, von der man nicht erfährt, ob sie tatsächlich so ist oder nicht, was der Beschreibung letztendlich seine Berechtigung geben würde, lenkt von der eigentlichen Geschichte ab. Was…

Wenn das virtuelle Leben besser ist als das reale
Für Junge und Junggebliebene / 27. Januar 2021

Unsere Welt ist kein schöner Platz mehr. Eine fortgeschrittene Klimaveränderung, die große Teile der Erde unbewohnbar gemacht hat, bringt die Menschen dazu, sich in virtuelle Welten zu flüchten. In sogenannten Depots stehen Kapseln, mit denen man sich quasi wegbeamen kann und es gibt niemanden auf der Erde, der dieses Angebot nicht gerne in Anspruch nimmt. Zur Wahl stehen unzählige Welten, die von Romantik  á la Jane Austen bis zu einem Besuch in der Kreidezeit bei den Dinosauriern alles zu bieten haben. Jana Pasco ist eine Weltendesignerin und arbeitet für „Mastermind“. Unter anderem hat sie auch Kerrybrook geschaffen, eine irisch anmutendes Fischerdorf, in dem man einfach ein schönes Leben führen kann, bis eines Tages aus unerklärlichen Gründen Menschen verschwinden. Es sind nicht die klassischen Transfers in eine andere Welt oder sogenannte Exits (jene Situation, in denen die Menschen kurz wieder in der Realität erwachen), sondern es sieht so aus, als würden die Menschen einfach aufhören zu existieren. Als dann auch noch seltsame Veränderungen passieren, die es eigentlich nicht geben kann, ist klar, dass Phantome unterwegs sind – Menschen, die keinen Personalcode besitzen und auf den Controllboards auch nicht erkennbar sind –, die Einfluss auf die Welten nehmen. Die Frage ist nur:…

Wir schreiben den 387. Tag des Jahres 1061 nach Ankunft der Ahnen …
Zum Heulen / 18. Januar 2021

Owen blickt in den Himmel, der milchig weiß ist. Und er fragt sich: Was ist hinter dieser weißen Decke? Eine alte Legende erzählt von Sternen, die sich dahinter verbergen und Owen will sie sehen – also fliegt er hinauf in den Himmel. So beginnt eine fantastische Geschichte rund um eine Welt, in der die Menschen Flügel haben. Sie leben in Nestern, geben sich Namen, haben Riten und Bräuche und auch Ahnen, von denen es 13 Bücher gibt. Und es gibt eben Legenden, die davon erzählen, wie diese Ahnen auf diese Welt gekommen sind, wie sie den Menschen die Flügel gaben und wie sie sie mit allen Mitteln schützen wollen vor der Versuchung die Sterne zu sehen. Denn, wenn das passiert, wird die Welt untergehen. Als es Owen schließlich gelingt, den Himmel zu durchstoßen und einen Blick auf die Sterne zu erhaschen, zahlt der dafür beinahe mit seinem Leben. So gibt er seiner Frau das Versprechen, niemals wieder darüber zu reden … Andreas Eschbach hat mit seinem 1.200 Seiten schweren Wälzer eine fantastische Welt geschaffen, in die man sich Seite um Seite immer mehr verliebt. Sei es die Art, wie sich die Menschen einander „versprechen“, wie die Namensvergabe nach einem sehr…

Wahr oder nicht wahr, das ist hier die Frage
Zum Nachdenken , Zum Studieren / 12. Januar 2021

Eine der markantesten Begleiterscheinungen von Corona sind die vielen „alternativen Fakten“, die im Umlauf sind. Jeder, der das Alphabet kennt und bis 10 zählen kann ist offenbar schon Experte. Und ja, es ist nicht immer leicht, Fakten von Fake zu unterscheiden und das Phänomen des „Counterknowledge“ hat in Zeiten der Digitalisierung natürlich freie Bahn. Was also steckt hinter der einen oder anderen Behauptung und wie kann man herausfinden, was wahr ist und was nicht? Daniel J. Levitin hat dazu ein Buch verfasst, dass sich sehr stark mit Logik, Statistik und deren Fehlinterpretationen und dem Aufdecken solcher Fakes befasst. Es mag mitunter etwas mathematisch und trocken sein, aber es bleibt halt ganz dicht an den Dingen, die sich messen lassen. Zwar erklärt uns der Autor nicht, WARUM es Menschen gibt, die solche Halbwahrheiten verbreiten, aber dies scheint auch nicht die Frage zu sein, mit der wir uns beschäftigen sollen. Viel mehr geht es darum für sich persönlich zu klären: Ist das, was behauptet wird, überhaupt möglich? Ist es wahrscheinlich? Oder ist es an den Haaren herbeigezogen? Am Ende bleibt die Erkenntnis: was immer irgendwo im Netz steht, sollte nach guter journalistischer Manier einem Check-Recheck-Doublecheck unterzogen werden und erst dann darf man…

Lernen ist ein Prozess, der mit Unwissenheit beginnt.
Zum Nachdenken , Zum Studieren / 4. Januar 2021

Nicht erst seit dem Jahr 2020 ist klar: nicht nur die Welt an sich ist im Wandel, auch die Gesellschaft ist es. Das Gefüge unsere Zusammenlebens beginnt zu bröckeln. Kein Wunder also, dass man der Menge an (unlösbaren?) Probleme, der Unsicherheit und einer nicht unkritischen Masse an Zukunftsangst manch einer sich die Frage stellt: Kann ich überhaupt noch was bewegen? Joanna Macy ist  Ökophilosophin, Buddhistin und Expertin für Systemtheorie und Tiefenökologie. Im vorliegenden Buch geht sie der Frage nach, wie man angesichts der (vermeintlichen) Hoffnungslosigkeit überhaupt noch die Kraft aufbringen kann, etwas gegen die vielen Missstände, die es in der Welt gibt zu tun. „Hoffnung durch Handeln“ lädt mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen dazu ein, seine Einstellung zu ändern. Dabei lernen wir viel über jene Geschichte, wie sie uns gerade erzählt wird und der daraus resultierenden Krankheit namens „Affluenza“:  Es ist der Begriff zur Beschreibung des emotionalen Stresses, der aus der hauptsächlichen Beschäftigung mit Besitz und Äußerlichkeit erwächst. Es ist eine Art seelischer Virus, der unser Denken infiziert. Der toxische Glaube im Kern dieser Krankheit ist, dass Glück darauf beruht, wie wir aussehen und was wir haben. Wir lernen etwas über den Unterschied von „Macht ÜBER etwas zu haben“ und „Macht als…

Folge deinem „Ting“
Zum Nägel kauen / 25. November 2019

Linus, Niu, Adam und Kasper – vier unterschiedliche Typen mit unterschiedlichen Motivationen gründen ein Start-up. Ihr Produkt: ein Lebensnavigator – eine Art künstliche KI, die einem sagt, was man tun (oder lassen) soll. Von der Empfehlung, die Freundin zu verlassen, bis zum Ratschlag mehr Sport zu betreiben, beginnt das „Ting“ – so der Name des Programms – das Leben der Vier aufzumischen. Doch, was, wenn man sich den Ratschlägen widersetzt? Was, wenn einem eine unheilbare Krankheit offenbart wird? Und was, wenn das „Ting“ sich generell weigert zu einem zu sprechen? Das junge Team sieht sich unterschiedlichen Herausforderungen ausgesetzt und jeder muss auf seine Weise beginnen, sein Leben zu ordnen. Das „Ting“ von Debüt-Autor Artuh Dziuk besticht durch einen sehr spannenden Plot, einer Mischung aus möglicher Zukunftsmusik und den daraus resultierenden Konflikten mit allzu Menschlichem: den Gefühlen. Spannend von der ersten bis zu letzten Seite zu lesen – durchaus vergleichbar mit Dave Eggers „The Circle“ Das Ting, von Artur Dziuk ISBN: 978-3-423-23006-3