„In der gläubigen Hingabe an das Netz zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer religiösen Gestalt“
Allgemein , Zum Nachdenken , Zum Studieren / 15. Februar 2015

Nach der Theorie ist es jetzt also die Praxis der Unbildung, die uns Konrad Paul Liessmann anschaulich darlegt und mit zahlreichen Beispielen untermauert. Die Gutgläubigkeit in das „Netz“, das ja alles Wissen beinhaltet, und wegen dem man sich auch nicht mehr mit totem Wissen belasten muss, ist nur eines von vielen Schaufenstern, in die uns der Autor blicken lässt. Die permanente Messbarkeit von Leistung hat dazu geführt, dass das Angebot eben so aufbereitet wird, dass es messbar wird, sprich: Wissen um seiner selbst willen, ist kein messbarer Begriff, Bildung ohne dass daraus eine Kompetenz entsteht nutzlos. Was sich daraus letztendlich für eine Gesellschaft entwickeln wird, ist nicht absehbar, kann aber mit einigem Argwohn beobachtet werden. Einmal mehr brilliert der Autor mit seinem Wissen und auch seiner Sorge um das Bildungswesen, allen voran die Universitäten, die zu Ausbildungsstätten für die Wirtschaft verkommen. Es mag vielleicht in einigen Punkte allzu pessimistisch dargestellt sein, dennoch ist man angehalten seine Sinne zu schärfen und das Szenario aufmerksam zu verfolgen. So sehr die Praxis der Unbildung um sich greift, mit dem vorliegenden Buch wird ihr ein Stück weit etwas entgegen gehalten. Geisterstunde – die Praxis der Unbildung von Konrad Paul Liessmann, IBSN: 978-3552-05700-5

Wut – die kurze Geisteskrankheit
Zum Nachdenken / 1. November 2014

Der Sinn eines Plädoyes ist nicht, als Ratgeber für Lebenssituationen zu fungieren, sondern anhand von Lebenssituationen die Notwendigkeit einer Sache zu untermauern. Genau das macht Heidi Kastner in ihrem neuen Buch zum Thema Wut. Sie beschreibt diese Basisemotion und ihre Auswüchse, sie kritisiert den aktuellen Umgang mit Wut bzw. ihre Formen beispielsweise in der Gestalt von Wutbürgern (was die Autorin übrigens ziemlich sinnlos findet). Das Beschreiben von Fällen aus ihrer Praxis dient lediglich dazu aufzuzeigen, welche seltsamen Verwandlungen in Menschen passieren können, die mit der Wut nichts anzufangen wissen. Wer sich also erwartet ein Selbsthilfebuch vorzufinden, wird zu 100 % enttäuscht sein. Wer ein bisschen hinter die Maske der Wut blicken will, um sie vielleicht auch an sich selbst besser zu erkennen, dem ist gedient. Wut – Plädoyer für ein verpöntes Gefühl von Heidi Kastner, ISBN: 978-3-218-00929-4

Einer, der laut nachdenkt
Zum Nachdenken / 7. September 2014

Ferdinand von Schirachs neues Buch ist eine Ansammlung von Essays, die im deutschen Magazin SPIEGEL erschienen sind. Er behandelt dabei aktuelle (deutsche) Themen und beleuchtet sie analytisch, kritisch – und von allen Seiten. Da geht es um die Frage, warum sich Frau Merkel „freut“, dass Osama Bin Laden getötet wurde. Da geht es darum, ob Verbrecher überhaupt noch so etwas wie Würde haben, oder um die Geschichte, die das Leben für seinen Großvater schrieb, der den Nazis mehr als nur zugetan war. Es sind beinahe alltägliche Geschichten, doch aus der Feder von Herrn Schirach lesen sie sich ungemein spannend, mitunter erschütternd, manchmal unterhaltsam, immer jedoch gut argumentiert. Wer Bücher mag, in denen Zeitgeschehen aus persönlicher Sicht dokumentiert wird, wird Gefallen an dem Buch finden. Ferdinand von Schirachs neues Buch ist eine Ansammlung von Essays, die im deutschen Magazin SPIEGEL erschienen sind. Er behandelt dabei aktuelle (deutsche) Themen und beleuchtet sie analytisch, kritisch – und von allen Seiten. Da geht es um die Frage, warum sich Frau Merkel „freut“, dass Osama Bin Laden getötet wurde. Da geht es darum, ob Verbrecher überhaupt noch so etwas wie Würde haben, oder um die Geschichte, die das Leben für seinen Großvater schrieb, der den…

George Orwells Klassiker im Social Media Gewand
Zum Nachdenken / 24. August 2014

Mae Holland kann ihr Glück kaum fassen, als sie ihren neuen Job beim Circle anfängt, jenem Unternehmen, dass alle Internet-Aktivitäten bündelt. Facebook, Twitter und die Google-Suche waren nur der Anfang. Mittlerweile ist der Circle drauf und dran, das Leben der Menschen grundlegend zu verändern. Das neue Recht heißt, alles zu wissen, von jedem. Die Obsession „Teilen ist Heilen“ bringt immer mehr Features auf den Markt, die unter dem Deckmantel einer bessern Welt zur absoluten Transparenz führt. Kinder werden gechipt, damit sie nicht mehr gekidnappt werden können. Wahlen werden online unter den Usern abgehalten, die für diesen Moment der Fragestellung kein anderes Feature von Circle mehr benutzen können. Erst, wer gewählt hat, hat wieder vollen Zugang. Pulsmesser, Kalorienmesser, Gesundheitschecks über ein Armband – die Daten werden bei Circle gesammelt und Krankheiten verhindert, bevor sie richtig ausbrechen können. Wer sein Leben nicht teilt, keine Fotos online stellt, nichts postet und nichts liked, der muss ein Geheimnis haben. Und Geheimnisse sind böse …. Was Dave Eggers in seinem Roman beschreibt ist eine mögliche Zukunft, die ja zum Teil schon real ist. Der Druck, der beim Lesen entsteht, das ungute Gefühl, permanent unter Beobachtung zu stehen, das lässt einen schon darüber nachdenken, ob es…

„Was sich im Wissen der Wissensgesellschaft realisiert, ist die selbstbewusst gewordene Bildungslosigkeit.“
Zum Nachdenken / 14. Juli 2014

Nein das Buch ist nicht polemisch. Und es ist auch keine Anklage. Es ist vielmehr eine sehr sachliche, wenn auch manchmal mit Augenzwickern dargebotene, Bestandsaufnahme von „Allem, was man wissen muss“ über „PISA“ bis hin zur Bildungsreform und seinen Blüten. Konrad Paul Liessmann beschreibt die gegenwärtige Auffassung von Bildung und Wissen und der Umgang damit. Sein größter Kritikpunkt dabei ist, dass Bildung bzw. Wissen, nicht mehr um seiner selbst Willen, bzw. um der Erkenntnis willen, angeeignet wird, sondern dass es nur noch darum geht, wie man damit Geld macht, das Ranking verbessert oder Optimierungen vornehmen kann. Studieren und Forschen mit dem Zwecke den Geist zu bilden, dafür ist weder Zeit noch genug Ressource vorhanden. Wissensmanagement, so der Autor ist die abstruseste aller Ausgeburten der Neuzeit, vor allem dann, wenn sie altes Wissen, das Bildungsvermächtnis sozusagen, so behandelt, als wäre es der letzte Dreck. Der heutigen Wissensgesellschaft geht es nur noch darum, Wissen wie ein Produkt zu behandeln, das man aufbewahrt, verteilt, weitergibt. Von Erkenntnis ist keine Rede mehr, geschweige denn die Zeit dazu eine solche zu erlangen. Zugegeben: das Buch ist nicht gerade einfach zu lesen, ja es schleift ein wenig das Gehirn, welches mitunter so verschachtelte Sätze, wie sie…

Ein Außerirdischer möchte lieber Mensch sein
Zum Heulen , Zum Lachen , Zum Nachdenken / 5. Juli 2014

Andrew Martin ist nicht mehr er selbst. Genau genommen ist er tot und an seine Stelle hat ein Wesen von einem anderen Planeten Besitz vom Körper ergriffen. Das Ziel: Herauszufinden, wie viel Andrew Martin herumerzählt hat über seine mathematische Sensation, den Beweis der Riemannschen Vermutung. Zuvor muss das Wesen im irdischen Körper aber erst einmal lernen, was Menschen so tun – zum Beispiel nicht nackt herumlaufen. Der „neue“ Andrew beobachtet seine Frau und seinen Sohn, ist anfangs entsetzt über so vieles, was Menschen tun, lacht sich eins über die primitive Technologie und darüber, dass die Menschen glauben, der Mittelpunkt des Universums zu sein, kurzum: er mag die Menschen nicht. Doch dann passieren ein paar Dinge in seiner „Familie“ und er erkennt, zu was Menschen sonst noch fähig sind: zu tiefen Gefühlen – von Schmerz, über Mitleid, bis Liebe. Und dann beschließt Andrew etwas zu tun, das noch nie vor ihm einer seiner Rasse getan hat: er will ein echter Mensch werden und sein anderes Wesen ablegen. Das Buch von Matt Haig ist etwas Besonderes. Die Perspektive aus der es erzählt wird, ist jene vom außerirdischen Andrew und seine Sichtweise auf das Erdenleben ist überaus unterhaltsam, berührend, manchmal abstoßend, aber in…

„Nicht einer von euch war normal, sage ich …“
Zum Nachdenken / 5. Mai 2014

Maria, sitzt trotzig an einem Tisch und weigert sich, den Männern, die vor ihr sitzen, die Geschichte zu bestätigen. Man verlangt von ihr zu sagen, dass sie den Leib ihres Sohnes in den Armen hielt, dass sie zugegen war, als er starb, dass Er der Sohn Gottes sei. Es waren lauter Nichtsnutze, die ihr Sohn um sich versammelte und wenn jemand behauptet, dass sein Tod die Welt erlöst hat, dann war es das nicht wert – spricht die verzweifelte Mutter, die über den Tod ihres Sohnes auch nach Jahren noch immer nicht hinweg ist. Nicht mal seinen Namen kann sie aussprechen, schon gar nicht, wenn sie daran denkt, dass sie an jenem Tage floh, als es mit ihm zu Ende ging. Die nackte Angst war es, die sie forttrieb, weg von diesem Hügel, auf dem ihr Sohn an einem Kreuz hing. Wie er letztendlich wirklich starb, weiß sie gar nicht, sie hofft nur, dass es nicht allzu lange gedauert hat …. Es ist eine so traurige Geschichte von einer Frau, die ihr Kind verloren hat. Von einer liebenden Mutter, die erkennen muss, dass sie ihren Sohn schon zu Lebzeiten verloren hat, damals als er begann sich überheblich und seltsam zu…

Existentielle Erfahrungen kann man nicht absichtlich produzieren …
Zum Nachdenken / 11. Januar 2014

Plastikwelt, Finanzwelt, Wirtschaftswelt, Wissenschaftswelt, Medienwelt. Manfred Lütz beschreibt sie alle – die Scheinwelten, die uns umgeben, und denen wir, so der Autor, immer mehr anheim fallen. Schlimmer noch, wir beten sie an – den Gott des Geldes, den Filmstar – unseren Mediengott, die neuesten Gesundheitsstudien, die genau das Gegenteil von dem sagen, was noch vor ein paar Jahren galt und dennoch glauben wir sie. Alles, so scheint es, erheben wir in den Status des Absoluten, des Unantastbaren, des einzige Wahren. Nur im Glauben, so der Autor scheint kein Platz mehr für Gott zu sein … und ab diesem Punkt, beginnt das Buch kontrovers zu werden. Bis zum Schluss war mir nicht klar, was der Autor eigentlich erreichen will? Will er uns zum neuen Glauben bekehren? Zurück zu Gott geleiten – und zwar zum Christengott? Warum verbindet er das Existentielle des Menschen automatisch mit der Gegenwart Gottes? Kann es keine grundlegenden, tiefgreifenden Erfahrungen geben, ohne, dass Gott im Spiel ist? Vieles von dem, was der Autor sagt, kann ich nur nickend unterschreiben, aber nur dann, wenn es in sich geschlossen stehen bleiben kann. Im Kontext mit der Frage nach der Existenz Gottes und den Glauben daran, beginnt alles irgendwie missionarisch zu…

Das lineare Leben früherer Zeiten endet mit einem Feuerwerk an Komplexität.
Zum Nachdenken / 23. März 2013

Gabor Steingart schrieb mit seinem vorliegenden Buch eine Grabrede auf jenes Leben, das wir bislang als Normalität definierten. Dabei spricht er natürlich weniger junge Menschen an, sondern die Generation 40+. Die ist entweder „lernfähig bis zum Identitätsverlust“ (® H.M. Enzelsberger) oder sie spürt, wie ihnen jener Magnet abhanden kommt, der sie in irgendeiner Form im Leben verankerte. Die Kirche, die Familie, der Arbeitsplatz – all das waren Fixsterne, die jedoch ihre Position verlassen haben. Dabei geht das Ende der Normalität nicht abrupt vor sich, nimmt aber beständig an Fahrt auf. „Kaum hat man die Antworten gelernt, wechseln die Fragen“, schreibt der Autor und ergänzt „Wieviel Provisorium verträgt der Mensch?“ Gemeint ist damit wohl, dass wir uns doch nicht so schnell entwickeln, wie wir unsere eigene Entwicklung vorantreiben, denn „wir sind nicht nur Opfer der Veränderung, sondern auch ihre Quelle“. Es ist das Gefühl von Heimweh, das bleibt, wenn wir uns nach ein klein wenig mehr Stabilität oder Normalität zurücksehnen. So konnte man sich früher sicher sein, dass der erlernte Beruf ausreicht ein Leben zu füllen. Heute gibt es nicht nur Lebensabschnittspartner, sondern auch Lebensphasenberufe. Und doch: es ist nicht so, dass der Autor hier der guten alten Zeit nachweint! Im…

Macht Glück immer glücklich?
Zum Nachdenken / 10. März 2013

JA! Endlich räumt mal jemand auf mit dem Glückswahn, der uns tagtäglich umgibt und uns suggeriert, dass Glück das einzig Erstrebenswerte im Leben ist. Doch Wilhelm Schmid steht dem „normativen“ Glücklich-sein eher kritisch gegenüber. Denn, wie er selbst sagt, „Gläser sind nicht immer nur halb voll oder halb leer, sondern gelegentlich auch ganz leer.“ Und nichts macht unglücklicher als diesen unausweichlichen Lauf des Lebens einfach zu negieren. „Je heftiger Menschen auf dem Positiven beharren, desto tiefer stecken sie im Negativen fest“. Glück muss atmen können, d.h. es braucht auch mal eine Auszeit. Und manchmal ist das Verharren in einer Traurigkeit oder Melancholie durchaus kraftschöpfend. Nicht umsonst ist der Autor überzeugt, dass gerade Melancholiker das Potenzial zu großer Sensibilität haben, das Gespür für Sinn und dessen Fehlen. Es ist ein Buch der leisen Töne, eine wahre Ermutigung dem Gefühl unglücklich zu sein, manchmal einfach freien Lauf zu lassen. „Das Leben kennt neben den guten Zeiten auch noch andere, die das Positive erst kostbar machen.“ Ein paar schöne Sätze aus dem Buch: „Glück ist wichtig, aber noch wichtiger ist Sinn.“ „Das übermäßige Reden über das Glück nährt die Illusion, es könne ein gelingendes Leben ohne Einbußen und Schattenseiten geben.“ „Die Chemie des…