„Der Fortschritt tritt gerne in der Maske der Alternativlosigkeit auf …“

16. Juni 2018

Den Pessimisten unter uns ist klar, dass die Welt vor die Hunde geht. Beginnend bei der Ausbeutung unseres Planeten bis hin zu Digitalisierung, die uns als Menschen ohnehin obsolet macht.
Optimisten bejubeln die Innovation, das Disruptive an der Veränderung, das endlich alle Grenzen sprengt und uns frei macht.
Und die Denker? Die versuchen diese beiden Komponenten gegenüberzustellen und einen möglichst realitätsnahen Konsens zu erkennen.

Richard David Precht gehört zu diesen Denkern und er ist in dem, was er tut brilliant! Weder überzogen, noch überzeugt stellt er zwei mögliche Szenarien gegenüber – die Dystopie auf der einen Seite und eine humane Utopie mit positivem Ausgang auf der anderen. Er vergleicht beide Szenarien mit Erfahrungswerten aus der Vergangenheit, versucht die Brücke in eine mögliche Zukunft im Jahr 2040 zu schlagen, ohne sich seiner Sache 100 % sicher zu sein. Es sind mögliche Wege, die er vorschlägt, um einem Untergang aller menschlichen Werte und Errungenschaften entgegenzuwirken. Es ist wie immer die goldene Mitte, die eine digitalisierte Welt auf der einen und ein immer noch gültiges und erfülltes Leben auf der anderen Seite ermöglicht. Aber: und hier ist sich der Autor, wie viele andere ziemlich sicher, wir haben nicht mehr viel Zeit um die Weichen zu stellen für die „neue Gesellschaft“.

Ein ganz wichtiger Aspekt in diesem Buch ist die Erkenntnis, das ein bedingungsloses Grundeinkommen wohl der einzige Weg ist, um dem drohenden Fiasko von Massenarbeitslosigkeit und in der Folge gesellschaftlicher Unruhen entgegenzuwirken. Und er ist der erste (!), der mir plausibel erklären konnte, wie es funktioniert. Das Stichwort lautet Finanztransaktionssteuer, die lt. Berechnungen in der Schweiz beispielsweise in bei einem Prozensatz und 1 % jedem Schweizer Staatsbürger ein BGE (bedingungsloses Grundeinkommen) von 2.500 Franken garantieren würde! Also: man besteuert den Moloch der Geldtransaktion, der nur wenige reich macht in einer Höhe, die nicht einmal ins Gewicht fällt und macht damit einen ganzen Staat glücklich …
Das muss man sich als vorurteilender Kritiker eines BGE – und davon gibt es viele – einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Darüber hinaus geht es natürlich auch um menschliche Werte, die man eben nicht durch einen Algorithmus ersetzen kann, die aber zusehends verdrängt werden – Moral, Ethik, Zusammengehörigkeit. Fazit: Prechts Buch ist ein Buch für jene, die einen Weg in eine bessere Zukunft sehen wollen, nicht dadurch, dass man die Digitalisierung verdammt, sondern dadurch, dass man ihr Grenzen beibringt. Jene Grenze, wo das Maschinendenken aufhört und das Menschsein beginnt.

Jäger, Hirten, Kritiker von Richard David Precht, ISBN: 978-3-442-31501-7

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