Stell dir vor, du weißt, was in einem Jahr passieren wird …
Zum Nägel kauen / 2. Mai 2022

Adhi Chaudry ist Student und fasziniert von der Quantentheorie. Seine Vision: einen Computer zu bauen, der den Blick in die Zukunft ermöglicht. Ben Boyce, sein Studienkollege und Freund ist begeistert von dieser Idee und gemeinsam gründen sie ein Start-up. Als es ihnen schließlich gelingt, einen Quantencomputer zu entwickeln, der es möglich macht, exakt ein Jahr in die Zukunft zu schauen, stehen ihnen bei den Investoren Tür und Tor offen. Doch nicht nur am Kapitalmarkt hat man ein Auge auf das Duo geworfen, auch der amerikanische Kongress will mehr darüber wissen und sieht in der neuen Technologie eher den Weltuntergang als Fortschritt. Und tatsächlich scheinen sich mit jedem Blick in die Zukunft, den die beiden Jungunternehmer werfen, die Parameter zu verändern … Der Autor hat für dieses Gedankenexperiment einen sehr eigenwilligen Schreibstil gewählt. Die gesamte Story wird anhand von E-Mails, Handynachrichten und dem Kongress-Protokoll erzählt. Es gibt keinen „Erzähler“ im klassischen Sinne, sondern nur die Gespräche, die protokolliert sind, was den Zugang zu den Geschehnissen zum einen interessant macht, zum anderen aber vielleicht auch da und dort den Spannungsbogen vermissen lässt. Darüber hinaus hat der Autor geradezu prophetische Fähigkeiten bewiesen: bei einem Blick in die Zukunft stellt sich nämlich heraus, dass…

Ein Stück Zeitgeschichte
Allgemein / 19. November 2017

Hitler steht kurz davor in der Tschechoslowakei einzumarschieren, um die Sudetendeutschen zu „befreien“. Europa steht neuerlich am Rande eines großen Krieges. Dem britischen Premierminister Neville Chamberlain gelingt es buchstäblich in letzter Minute, eine Konferenz ins Spiel zu bringen, auf der Frankreich, England, Italien und Deutschland gemeinsam eine friedliche Lösung der tschechischen Krise zustande bringen sollen. Der Coup gelingt. Hitler unterschreibt das Abkommen und ganz Europa atmet auf, angesichts der Tatsache, dass der Krieg nun abgewendet ist. Wir alle wissen, was nicht einmal ein Jahr später passierte … Robert Harris nimmt diesen geschichtsträchtigen Akt der Historie rund um den Beginn des zweiten Weltkriegs und lässt den Leser daran teilhaben. An den Ängsten der Bevölkerung, die mit ihren Kindern bereits das Tragen von Gasmasken üben, am Fanatismus, aber auch an den Gegenkräften, die in Deutschland verzweifelt versuchen, das Unabwendbare doch noch zu verhindern. Man liest und weiß, wie es geendet hat – und das ist jedes Mal aus Neue erschütternd. München von Robert Harris 978-3-453-27143-2

Vom guten Samariter im Schatten des Bösewichts
Biografien / 9. Juni 2012

Bis vor kurzem wusste ich nicht einmal, dass Hermann Göring einen Bruder hatte. Im Geschichtsunterricht ist darüber ebenso wenig zu erfahren, wie aus den Geschichtsbüchern. Und während Schindler nicht zuletzt aufgrund von Steven Spielbergs Verfilmung weltberühmt wurde, bleibt das Schicksal jenes Mannes unbeachtet, der im Schatten eines Bösewichts versuchte, mit seinem Namen Gutes zu tun. Albert Göring – so liest man in dem vorliegenden Buch – hat zahllosen Menschen das Leben gerettet, in dem er ihnen zu Flucht verhalf, sie finanziell unterstützte oder sogar seinen mächtigen Bruder Hermann darum bat, den einen oder anderen Haftbefehl zurückzunehmen. Es ist kaum vorstellbar, dass dies keine Erwähnung findet, liest sich doch die Liste wie das Who-is-Who der damaligen Gesellschaft. Franz Lehars Frau, der damalige österr. Bundeskanzler Schuschnigg, die Frau von Hans Moser, etc, etc. Interessant ist das Buch aus deshalb, weil es von einem Australier geschrieben wurde, der natürlich einen ganz anderen Blick auf Deutschland hat, als dies Europäer hätten. So kann er sich zwischen den Zeilen auch darüber amüsieren, dass die Deutschen angeblich keinen Spaß haben, nahezu pedantisch sauber sind und aufgrund eines verlorenen Halbfinales in einer WM beinahe in Agonie verfallen. Er sieht aber auch, dass von der Deutschtümelei der damaligen…

Guter Urlaubskrimi mit geschichtlichem Hintergrund
Zum Nägel kauen / 23. Juli 2011

Als der Kriminalist Gero Herbst zu einem Mordfall gerufen wird, ahnt er noch nicht, dass dieser möglicherweise mit den letzten Weltkriegstagen an der Elbe zusammenhängen würde … und mit seinem Vater. Der Tote entpuppt sich zunächst als ein Mann, der nach dem Grund der Leukämieerkrankung seiner Tochter sucht und diesen im sogenannten Leukämiecluster an der Elbe findet – jenem Bereich, wo es auffällig viele Leukämiekranke gibt. Liegt die Schuld am  nahegelegenen Kernkraftwerk, oder am ursprünglichen Sitz der Dynamitfabrik von Alfred Nobel, die an dieser Stelle die den Krieg der Deutschen gegen den Rest der Welt mit Munition versorgte? Oder liegt es daran, dass damals im Jahr 1945 nicht nur  Geschützmunition hier entwickelt wurde, sondern vielleicht sogar die ultimative V-Waffe? Hatten die Deutschen womöglich die Atomwaffe bereits in ihren Händen? Gero Herbst untersucht akribisch die Spuren, die von dem Toten weg in die Vergangenheit führen, nur um bald schon festzustellen, dass sein Vater zur selben Zeit in der selben Munitionsfabrik gearbeitet hat … Boris Meyns Krimi ist recht unterhaltsam und durchwegs spannend. Geschichte und Fiktion treffen gekonnt aufeinander und lassen einigen Spielraum für die eigene Fantasie. Das Buch hinterlässt jetzt zwar keinen bleibenen Eindruck, kann aber als Strandlektüre sicher gute Dienste…

Fröhliche Niedergeschlagenheit
Zum Heulen / 29. Dezember 2010

Zu Beginn des Buches war ich skeptisch, weil ich eigentlich nichts über den 2.Weltkrieg lesen wollte. Und die Erzählweise ist mir im ersten Teil des Buches auch zu „distanziert“ – ja, der Tod blickt einem über die Schulter und beschreibt was er sieht. Doch dann verdichtet sich alles. Menschen, die man zu Beginn für herzlos hielt, zeigen menschliche Züge, und ehe man sich’s versieht lebt man mittendrin in einer Zeit, in der die Tatsache, dass es nichts zu essen gibt, alltäglich war. Unvorstellbar. Für viele Menschen muss es wohl so gewesen sein, dass der Krieg eine Randerscheinung war, bis plötzlich die Bomben fielen und die Männer eingezogen wurden. Witzigerweise ärgert es mich oft, wenn in Büchern am Ende alle sterben – da denk ich mir immer: meine Güte, muss denn der Autor so auftragen? In diesem Fall ist es logisch, mehr noch hat man das Gefühl, dass es genau so passiert ist. Und man muss dem Autor wohl dankbar sein, dass er das Grauen nicht detaillierter beschrieben hat. Obwohl: manchmal sind ja die Dinge, die nur so nebenbei erwähnt werden, viel schlimmer, weil die Fantasie verrückt spielt. Zuguterletzt habe ich doch sehr geschluckt und Menschen, die „nahe am Wasser gebaut“…